Sexualität in den Wechseljahren: Dein Guide zu mehr Lust, Energie und Verbundenheit
Bei Evela ist uns Deine sexuelle Gesundheit wichtig. Neben Schlafstörungen zieht sich kaum ein Thema so sehr durch unsere Beratungen, insbesondere bei perimenopausalen Frauen. Gesundheit muss immer ganzheitlich betrachtet werden. Dazu gehört auch ein Bereich, der in der klassischen Medizin oft als „Nice-to-have“ oder nachrangig behandelt wird: Deine Sexualität.
Wir spüren in den Gesprächen oft eine große Unsicherheit und teilweise Verzweiflung. Im aktuellen Gesundheitssystem fehlen Anlaufstellen oder die Zeit, um offen über Sexualität zu sprechen, körperliche Veränderungen zu verstehen und Lösungen zu finden, die über „Da müssen Sie durch“ hinausgehen. Dabei sehen führende Expertinnen sexuelle Gesundheit als einen Kernbestandteil der Longevity (gesunde Langlebigkeit).
Für uns ist Sexualität ein Schlüsselfaktor für starke Wechseljahre. Warum? Weil Dein Sexualleben Deinen Schlaf, Deine Herzgesundheit, Deine mentale Stärke, Dein Selbstbewusstsein und natürlich Deine Beziehung stark beeinflusst.
In diesem Artikel bekommst Du Klarheit über Deinen Körper – und Impulse, wie Du Deine Lust neu verstehen und so leben kannst, wie es zu Dir passt.
1. Sexualität als Gesundheits- und Performance-Hebel
Sex ist mehr als nur ein Moment der Lust – er ist ein bio-psycho-sozialer Faktor mit messbaren gesundheitlichen Vorteilen.
Besserer Schlaf durch den "parasympathischen Switch"
Vielleicht kennst Du das: Nach einem Orgasmus fällt eine Last ab. Dein Nervensystem schaltet von Anspannung (Sympathikus) auf tiefe Entspannung (Parasympathikus) um. Die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Dopamin, Oxytocin und Prolaktin verbessert die Schlafqualität direkt. Studien zeigen, dass nach dem Sex die Ruheherzfrequenz sinkt und die Einschlafzeit kürzer ist.
Fitness für Herz und Langlebigkeit
Sexuelle Aktivität hat eine metabolische Äquivalenz (MET) von etwa 6 bis 7. Das entspricht einem moderaten Workout (wie zügiges Joggen oder Tennis). In der modernen Langlebigkeitsforschung fragen wir oft nach dem sogenannten „Marginalen Jahrzehnt“: Was möchtest Du in den letzten zehn Jahren Deines Lebens noch tun können? Für sehr viele Menschen gehört Intimität und sexuelle Aktivität dazu. Um dies genießen zu können, ist eine gewisse körperliche (kardiorespiratorische) Fitness notwendig – Sex hält Dich also buchstäblich fit für den Sex. Nicht schlecht, oder?
Beziehungsgesundheit und "Desire Discordance"
Wie oft Paare Sex haben, ist sehr unterschiedlich. In deutschen Umfragen geben rund 40 % der Paare an, ein- oder mehrmals pro Woche miteinander zu schlafen – andere seltener oder gar nicht. Mit zunehmendem Alter, längerer Beziehungsdauer oder in belastenden Lebensphasen wird Sex oft weniger, ohne dass das automatisch ein Problem ist. Wichtig zu wissen: Der größte Risikofaktor für Trennungen ist nicht die Frequenz an sich, sondern die Diskrepanz im Verlangen (Sexual Desire Discordance) – also wenn Du und Dein Partner unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Viele Frauen berichten uns, dass ihr sexuelles Verlangen in der Perimenopause nachlässt oder komplett erliegt. Das belastet oft weniger wegen der Sorge, den Mann nicht „zufriedenzustellen“, sondern weil die Intimität als „Klebstoff“ der Beziehung fehlt. Sexualität verbindet auf eine biochemische Weise, die reine Freundschaft nicht leisten kann.
2. Das weibliche Verlangen verstehen: Erregung kultivieren
Die Wissenschaft zeigt: Weibliches Verlangen folgt häufig einem anderen Muster als männliches – und genau das ist wichtig zu verstehen.
Spontanes Verlangen: Die Lust, die einfach so auftritt („Ich habe jetzt Lust auf Sex“), oft in Erwartung von Intimität. Dies erleben dauerhaft weniger als 10–15 % der Frauen (meist jüngere oder in ganz frischen Beziehungen).
Reaktives Verlangen: Dies betrifft ca. 85 % der Frauen. Die Lust entsteht erst als Reaktion auf physische oder emotionale Erregung (Arousal).
Das Party-Beispiel: Stell Dir vor, Du bist am Freitagabend auf der Couch, müde und hast absolut keine Lust, auf die Party Deiner Freundin zu gehen. Du raffst Dich trotzdem auf. Sobald Du dort bist, die Musik hörst, ein Getränk in der Hand hast und mit Leuten lachst, hast Du plötzlich Spaß und willst nicht mehr nach Hause.
Genau so funktioniert reaktives Verlangen: Du musst nicht „Lust auf die Party“ (Sex) haben, um hinzugehen. Du musst nur offen dafür sein, dass es gut werden könnte, sobald Du dort bist.
Strategien zur Kultivierung Deiner Lust
Verlangen entsteht nicht im luftleeren Raum – es braucht Reize, Sicherheit und manchmal schlicht ein bisschen Raum für Dich selbst. Wenn Du spürst, dass die Lust auf sich warten lässt, heißt das nicht, dass sie weg ist. Es heißt nur: Du darfst ihr etwas auf die Sprünge helfen.
1. Curating Arousal (Erregung kuratieren)
Warte nicht auf den Blitzschlag der Lust. Beginne aktiv mit Erregung. Das kann körperlich sein (Berührung), mental (Erotica lesen/hören) oder durch Hilfsmittel. Prüfe, ob die Lust folgt - frei nach dem Motto „Komm wie Du bist“.
2. „Chore Play“: Stressabbau als echtes Vorspiel
Hand aufs Herz: Es kann unglaublich attraktiv sein, wenn der Partner unaufgefordert den Geschirrspüler ausräumt oder das Management der Kinder übernimmt. Und das hat einen biologischen Grund! Stress ist der Lustkiller Nummer 1. Wenn Dir Aufgaben abgenommen werden, sinkt Dein Stresslevel (Cortisol) und Dein "Mental Load" wird leichter. Das löst die mentale Bremse und schafft erst den Raum, in dem Lust überhaupt entstehen kann.
Allerdings gibt es eine wichtige Spielregel: Es darf kein Tauschhandel werden. Chore Play funktioniert wunderbar, wenn es ein Akt der Partnerschaft und Fürsorge ist. Sobald aber eine transaktionale Erwartung mitschwingt („Ich habe heute gekocht, also schuldest Du mir Sex“), bewirkt es das Gegenteil. Druck tötet weibliche Erregung sofort ab. Die Formel lautet also: investiere in die Entlastung, um emotionale Nähe zu schaffen – dann öffnet sich die Tür für Dein reaktives Verlangen oft ganz von allein.
3. Das "Lube-Shooting" (Vorbereitung ist alles)
Vaginale Trockenheit ist ein riesiges Thema. Weiter unten führen wir nochmal auf, dass eine gesunde urogenitale Schleimhaut die 100%ige Voraussetzung ist für lustvollen Sex. Wenn das sichergestellt ist, haben wir hier noch einen Tipp von Expertinnen, das Lube-Shooting:
Nutze Silikon-Gleitgel (es hält länger und klebt nicht wie wasserbasiertes). Trage es idealerweise 20–30 Minuten vor der möglichen Intimität auf.
Wie? Nutze einen kleinen Applikator (ähnlich wie bei einer Pilzcreme oder einem kleinen Einlauf), um einen Tropfen hoch oben im Vaginalkanal zu platzieren.
Warum? Wenn es dann zur Intimität kommt, fühlt sich die Feuchtigkeit natürlich an ("wie von selbst"), da sie durch die Bewegung nach unten wandert. Das nimmt den klinischen Moment des „Moment, ich muss noch zur Tube greifen“ weg.
4. Mindfulness
Bleib im Moment. Wenn die Gedanken abschweifen („Ich muss noch Milch kaufen“), bringe sie sanft zurück zum körperlichen Gefühl. Was fühlst Du jetzt gerade auf der Haut?
3. Anatomie, Foreplay und der Orgasmus-Gap
Deine Anatomie verändert sich – aber mit dem richtigen Wissen kannst Du sie hacken.
Der Klitoris-Komplex: Mehr als man sieht
Die Klitoris ist nicht nur der kleine sichtbare „Knopf“. Sie ist ein riesiges System mit über 8.000 Nervenenden.
Die Crura (Schenkel) ragen tief in das Innere und liegen an den Vaginalwänden an.
Bei Erregung schwellen diese Strukturen an (das Vestibulum füllt sich mit Blut).
Nervenfasern: Warum der Vibrator kein „Schummeln“ ist
Die Klitoris und Vulva besitzen zwei wichtige Nerventypen:
Typ C-Fasern: Reagieren auf leichte Berührung und Hitze. Sie sind unmyelinisiert (haben keine Schutzschicht) und altern schneller. Deshalb spüren viele Frauen in den Wechseljahren zarte Berührungen weniger intensiv.
Typ A-Fasern: Reagieren auf Tiefendruck und Vibration. Sie haben eine dicke Myelinschicht, sind robust und altern kaum.
Das bedeutet: Wenn Du früher sanftes Streicheln mochtest und jetzt „nichts mehr spürst“, ist nichts kaputt. Deine Typ-C-Fasern sind nur müde. Ein Vibrator stimuliert gezielt die robusten Typ-A-Fasern. Er ist also ein evidenzbasiertes medizinisches Werkzeug, um die Orgasmusfähigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten.
Der Orgasmus-Gap & der G-Punkt
Nur etwa 30 % der Frauen kommen allein durch Penetration zum Höhepunkt. Du bist also völlig normal, wenn Du externe Stimulation willst und brauchst. Der sagenumwobene G-Punkt ist anatomisch gesehen oft einfach der Teil der inneren Klitoris-Schenkel, den man durch die Vaginalwand spürt. Er liegt an der vorderen Wand (Richtung Bauchdecke), etwa ein Drittel tief. Das Gewebe fühlt sich dort oft rauer an („geriffelt“).
21 Minuten Vorspiel: Die Physiologie dahinter
Expertinnen raten oft zu ca. 20 Minuten Vorspiel. Das klingt nach viel Zeitmanagement, hat aber einen biologischen Grund: In nicht-erregtem Zustand ist die Vagina ein kollabierter Schlauch. Erst bei echter Erregung passiert das sogenannte „Tenting“: Die Vagina wird feuchter, weiter und vor allem länger, indem sich der Gebärmutterhals nach oben zieht.
Passiert dies nicht, stößt der Penis oder das Spielzeug gegen den Muttermund, was schmerzhaft sein kann (Dyspareunie). Ausreichendes Vorspiel ist also keine bloße Romantik, sondern Schmerzprävention.
4. Hormone in den Wechseljahren: MHT, Testosteron und die SHBG-Falle
Viele Frauen fragen uns: „Hilft meine Hormonersatztherapie (MHT) auch für die Libido?“
Die Rolle der klassischen MHT (Östrogen/Progesteron)
Eine systemische Hormontherapie hilft oft indirekt. Wenn Du wieder schläfst, keine Hitzewallungen hast und Deine Stimmung stabil ist, hast Du eher Kopf und Energie für Sex. Aber: Östrogen allein ist meist nicht der Treibstoff für das sexuelle Verlangen (den „Drive“).
Testosteron: Der Motor für die Lust
Wenn Du unter HSDD (Hypoactive Sexual Desire Disorder – also klinischem Leidensdruck durch Lustlosigkeit) leidest, ist Testosteron oft der fehlende Baustein.
Testosteron ist auch ein wichtiges Frauenhormon. Die Spiegel sinken im Alter drastisch.
Eine niedrig dosierte Testosteron-Creme (oft off-label verordnet) kann helfen. Ziel ist ein physiologischer Spiegel, keine extrem hohen Werte.
Vor Beginn sollte der Testosteronwert im Blut bestimmt werden. Nach 3–6 Monaten ist eine Kontrolle sinnvoll - im Labor und anhand Deiner persönlichen Veränderungen.
Die SHBG-Falle (warum die Pille oder orales Östrogen Lust killen kann)
Hier wird es kurz biochemisch: Sexualhormone fahren in Deinem Blut oft „Bus“. Dieser Bus heißt SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin). Wenn das Hormon im Bus sitzt, ist es gebunden und kann nicht wirken. Nur freie Hormone, die „ausgestiegen“ sind, wirken an der Zelle.
Orales Östrogen (Tabletten) muss durch die Leber. Die Leber reagiert darauf mit einer massiven Produktion von SHBG (mehr Buss).
Diese Busse sammeln gierig Dein verbleibendes Testosteron ein.
Ergebnis: Du hast zwar Östrogen im Blut, aber Dein freies Testosteron ist fast null -> Libidoverlust.
Lösung: Deshalb bevorzugen wir oft transdermale Östrogene (Gels/Pflaster), da diese die Leber umgehen und das SHBG nicht so stark in die Höhe treiben.
Lokales Östrogen: Die Basisversorgung
Unabhängig von systemischen Hormonen: Wenn Du Schmerzen oder Trockenheit hast, ist lokales Östrogen (Zäpfchen/Creme) Pflicht. Es wirkt nur dort, wo es soll, baut die Schleimhaut wieder auf und macht Sex wieder schmerzfrei. Wir empfehlen oft eine „Ladephase“ von 6–8 Wochen, um den Unterschied wirklich zu spüren.
Fazit
Deine sexuelle Gesundheit ist ein wertvoller Teil Deines gesamten „Long-Game-Plans“. Es ist nie zu spät, diesen Bereich neu zu entdecken, die Physiologie zu verstehen und die richtigen Hilfsmittel (Hormone, Vibratoren, Kommunikation) zu nutzen.
Dein nächster Schritt:
Möchtest Du wissen, ob Deine aktuelle Hormonsituation (z.B. ein hoher SHBG-Wert oder Östrogenmangel) Deiner Libido im Weg steht? Lass uns Deine Blutwerte gemeinsam analysieren oder sprich uns im nächsten Beratungsgespräch gezielt auf die lokale Therapie und Testosteron an.